Saphenion®: Das Schicksal der Vena saphena

Saphenion®: Das Schicksal der Vena saphena – Blick in die Vergangenheit der Krampfadertherapie

Saphenion®: Das Schicksal der Vena saphena – ist eine historische Betrachtung zur radikalen Therapie von Varizen. In einem Festvortrag auf dem Northern European Endovenous Forum in Warnemünde haben sich PD Dr. med Lahl und Dr. med. Ulf Th.Zierau mit diesem Thema etwa intensiver auseinandergesetzt. 

Saphenion®: Das Schicksal der Vena saphena – Blick in Vergangenheit der Krampfaderchirurgie

Fast genau auf den Tag vor 60 Jahren betrat Dr. Lahl als Ausbildungsassistent die Chirurgische Klinik. Ihm wurde sofort die Betreuung der Varizenpatienten anvertraut.

Das Patientengut war zu dieser Zeit noch überwiegend stationär versorgt. Die Liegezeit betrug ca. 7 Tage. Die älteren Kollegen waren froh, dass sie sich nicht mehr um das unspektakuläre Krankheitsbild kümmern mussten, die Eingriffe rangierten ausnahmslos am Ende des Op – Programms. Der Chef erschien regelmäßig im Saal, um zu fragen, was der Assistent  denn so lange mit dem Patienten treiben würde. Er sagte: „Es handelt sich um eine Erkrankung und nicht um Kosmetik“.

Am meisten störten ihn kleine Inzisionen. Es galt noch der Spruch: Große Schnitte, große Chirurgen. Kleine Schnitte, kleine Chirurgen. Kosmetische Aspekte standen – wie heute ganz wesentlich – nicht im Vordergrund.

Noch heute erinnern wir uns an die ersten Op – Berichte, die stereotyp lauteten: Hautschnitt handbreit unterhalb der Leistenbeuge, Aufsuchen der Vena saphena und Durchtrennen zwischen Ligaturen. Anschließend erfolgte das Einbinden einer Knopfkanüle und die retrograde Instillation einer Calorose-Lösung,  einem 60%igen Invertzucker. Der in Lokalanästhesie liegende Patient musste angeben, sobald er ein Wärmegefühl im Sprunggelenkbereich bemerkte. Damit war der Eingriff beendet, und es erfolgte die Kompressionsbandagierung. Letztlich entsprach dieses Vorgehen dem von Moszkovicz bereits 1927 vorgeschlagenen Verfahren (2).

Rückblickend stellt sich uns die Frage, gehörten wir damals zu den Pionieren der chemischen endovenösen Therapie oder erfolgte die Behandlung nach einem antiquierten Verfahren?

Leider waren Revaskularisation (Neubildungen) der Stammvene sowie Thrombosen durch einen Übertritt der hochprozentigen Lösung in das tiefe Venensystem eine mögliche Komplikation.

Deshalb widmete sich Dr. Lahl bereits nach kurzer Zeit dem Stripping – Verfahren. Die vorhandenen, ca. 60 cm langen originalen Babcock-Sonden eigneten sich allerdings nur bedingt. Sie waren zu starr und zu kurz und das Venenmaterial rutschte häufig über die Sondenolive. Stripper – Sonden konnten in der ehemaligen DDR nicht erworben werden. Not macht erfinderisch, wir besorgten uns von der Berliner Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ flexible Pianoseiten und fertigten aufschiebbare Zylinder verschiedener Durchmesser.

 

Saphenion®: Das Schicksal der Vena saphena – Zur historischen Entwicklung der Varizentherapie

Bereits 1862 meinte Minkiewicz  in seinen „Vergleichenden Studien über alle gegen Varizen empfohlenen Operationsverfahren“ :

„..die Menge mancher in der chirurgischen und therapeutischen Praxis gegen gewisse Krankheiten vorgeschlagenen Heilmethoden entweder beweist, dass die Ersteren noch nicht hinlänglich erforscht worden sind oder dass das eigentliche Heilverfahren erst noch entdeckt werden soll. Dies gilt in hohem Maße bei Varizen und den hierbei üblichen Operationsweisen“.

Bereits aus vorchristlicher Zeit, sowie den nachfolgenden Jahrhunderten, liegen Beschreibungen und Abbildungen zu Varizen und ihren Komplikationen vor. Therapeutische Maßnahmen bestanden jedoch zumeist nur aus entlastenden Eingriffen bei Komplikationen (Thrombosen, Blutungen, Offenes Bein).

Erst mit Einführung von Betäubung, Anti – und Asepsis Mitte des 19. Jahrhunderts stößt man auf eine fast unüberschaubare Zahl verschiedenster Behandlungsvorschläge zur Ausschaltung der krankhaft erweiterten Stammkrampfader Vena saphena sowie der varicösen Seitenäste.

 

Saphenion®: Das Schicksal der Vena saphena -Viele Chirurgen gegen jeden operativen Eingriff

So formulierte der bis zu seinem Tode 1847 als Lehrstuhlinhaber an der Charité tätige Johann Friedrich Dieffenbach:

„Diese in vielen Fällen zweifelhafte, selten nur durch den Drang der Umstände gebotene Varizenoperation ist nach den verschiedenen Methoden, welche man empfohlen hat, leichter auszuführen, als den Kranken gegen die nachteiligen Folgen derselben zu schützen“.

Auch Theodor Billroth  weist noch 1863 in seinem Buch „Die allgemeine chirurgische Pathologie und Therapie“  darauf hin, dass

 „…wir uns bei der Behandlung der Varicen insofern incompetent erklären müssen, als wir keine Mittel kennen, welche die Disposition zu diesen Venenerkrankungen zu vernichten imstande wären….Falls wir auch eine oder mehrere dieser erkrankten Venen entfernen, so würden sich dafür bald andere Wege ausbilden. Schon aus diesem Grund verwerfe ich Operationen, welche zum Zweck haben, eine oder mehrere varicöse Knoten am Unterschenkel zu beseitigen. Bedenken Sie, dass die einzelnen Varicen an sich fast gar keine Beschwerde machen, dass jede Operation an den Venen durch Complication mit Thrombose und Embolie lebensgefährlich werden kann. So muss ich die Operation der Varicen für vollkommen unmotiviert halten.

Friedrich Trendelenburg

 

Saphenion®: Das Schicksal der Vena saphena – Moderne Pathophysiologie der Krampfadern

Es ist sicher gerechtfertigt, die moderne Pathophysiologie der venösen Erkranungen und Insuffizienz auf Friedrich Trendelenburg (1844-1924) zu datieren. Er führte den Begriff des  „Privatkreislaufes“ ein und begründete damit die solitäre Ligatur der Vena saphena zur Ausschaltung des Refluxes. Sein Vorgehen beschrieb er 1891 in „Bruns Beiträgen Klinische Chirurgie“ unter dem Titel:

„Über die Unterbindung der Vena saphena magna bei Unterschenkelvarizen“.

Zum damaligen Zeitpunkt war Trendelenburg in Bonn, hatte allerdings von 1875 -1882 auch an der Rostocker Universität gewirkt. Mit diesem, von Trendelenburg beschriebenen Eingriff, waren weder ein Herausziehen der Stammvene noch eine Crossektomie in der Leiste verbunden.

Rostock kann sich eines weiteren Pioniers der Krampfadertherapie rühmen. 1884 stellte der Ordinarius Madelung auf dem 13. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie sein Verfahren vor, bei dem von zwei Hautschnitten am Ober – und Unterschenkel sowie nach Rückpräparation beider Hautlappen neben der Stammvene die Seitenastkrampfadern und Verbindungsvenen exstirpiert (herausgeschnitten) wurden. Diese Methode wurde bis weit ins 20. Jahrhundert hinein praktiziert.

Erwähnenswert sind weiterhin die spiralige Umschneidung des gesamten Beinumfanges an Unterschenkel und Oberschenkel, beschrieben vom Stendaler Chirurgen Rindfleisch 1906 sowie die oft als „Fingerstripping“ genannte Resektion des Utrechter Chirurgen Narath 1908. Er mobilisierte und entfernte über dutzende Hautschnitte entlang des gesamten Beines unter der Haut die Varizen.

Die instrumentelle Entfernung der Stammvene begann mit einer Art Invagination kurzer Venensegmente durch den Amerikaner Keller 1905.

Die erste erfolgversprechende Entfernung von Varizen gelang Charles Mayo 1906 in Rochester mit einer von ihm entwickelten Ring – Curette, mit der er die Vena saphena aus dem Gewebe auslöste und aus dem Bein herauszog.

1907 konnte William Wayne Babcock dann das bis heute geübte „Stripping“ – Verfahren vorstellen. Allerdings blieb das Mayo – Verfahren, 1916 in Boston durch John Homans mit einer Kombination von Leistenschnitt, Herausziehen und Wundausschneidung als Radikal – Operation bezeichnet, noch viele Jahre die bevorzugte Methode.

 

 

Saphenion®: Das Schicksal der Vena saphena – radikale Operation – radikale Reaktion

Der radikale Umgang mit der Stammkrampfader Vena saphena und die damit verbundenen Komplikationen führten allerdings in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer nur eingeschränkten Verbreitung des Stripping – Verfahrens in Deutschland.

Es gab zahlreiche Gegner, die sich sogar zu überspitzten Äußerungen hinreißen ließen. Zitiert sei der königlich dirigierende Brunnenarzt Professor Winkleraus dem Jahr 1917:

„Für Fälle von ziemlich geradem Verlauf der erweiterten Vene hat Babcock eine Methode angegeben, die an Rohheit alles übertrifft, was auf diesem Gebiet versucht worden ist. Bevor sich ein Patient auf diese Schinderei einlässt, sollte er sein Testament machen“.

Insbesondere Hautärzte bemühten sich deshalb, die Varizen bzw. die chronisch venöse Insuffizienz durch einen endovenösen Verschluss der Vena saphena und ihrer Seitenäste zu erzielen. Aufgrund der Erfolge Linsers in Tübingen in den 20 er Jahren des vorigen Jahrhunderts, der zunächst eine Sublimat -, später dann hochprozentige Kochsalz – und Zuckerlösungen benutzte, verließen  nun auch zahlreiche Chirurgen die operative Behandlung

Leider häuften sich aber Berichte über Rekanalisationen und kritische Meinungen zu fehlenden Langzeitergebnisse der Dermatologen:

„Die Dermatologen berichten immer über Erfolge, aber selten über Dauererfolge“ klagte Moszkowicz 1934.

Und Zeller schlug bereits 1927 vor,„die gut begründete blutig – operative Therapie mit der jetzt so sehr in Aufnahme kommenden konservativen Methode zu kombinieren“.

Es sollten aber noch viele Jahre vergehen, bis die chirurgische Therapie der Vena saphena von den Chirurgen selbst wieder akzeptiert wurde.

1932 ergab eine Umfrage, dass 11 von 12 chirurgischen Universitätskliniken in Deutschland verschiedenen Verödungsbehandlungen durchführten und komplett auf radikale Maßnahmen verzichteten!

Erst nach dem zweiten Weltkrieg begann eine zunehmende Differenzierung der für eine endovenöse Sklerosierung geeigneten Fälle und der klassischen Stripping – Technik.

 

 

Saphenion®: Das Schicksal der Saphena – In den Sechzigern…

Unvergessen bleibt die Äußerung des Nestors der deutschen Gefäßchirurgie, Prof. Vollmer, auf dem Chirurgenkongress 1969, der

„den Alleinvertretungsanspruch der Verödungsexperten und Beinewickler ebenso wenig für gerechtfertigt hielt wie den der ausschließlichen Stripper“.

Es war jedoch schon Ausdruck der bis zum heutigen Zeitpunkt unterschwelligen Rivalität zwischen Chirurgie und Dermatologie um die fachliche Kompetenz dem Krankheitsbild Krampfader gegenüber. Leider hat uns deshalb auch die jahrelange Missachtung vieler Chirurgen zur Wertigkeit des Varizenleidens  nicht geholfen.

Ein großer Gewinn war dann die Einführung der farbkodierten Duplexsonographie. Zuvor stand vor uns stets die Frage der Indikation für eine kontrastmittelbasierte Phlebographie, deren Entscheidung “ für oder gegen“ nicht zuletzt auch juristische Konsequenzen nach sich ziehen konnte.

Über die verschiedenen Verfahren, die arme Stammkrampfader Vena saphena aus dem Gewebe herauszureißen, wollen wir nicht viele Worte verlieren. Letztlich verletzten alle chirurgisch operativen Methoden mehr oder weniger das umliegende Gewebe und bergen stets die Gefahr einer Schädigung benachbarter Strukturen in sich.

 

 

Saphenion®: Das Schicksal der Vena saphena – Herausziehen (Stripping) erzeugt Lymphbahn-/ Nervenverletzung

Bereits in den 70ger Jahren interessierten Dr. Lahl lymphologische Fragestellungen, insbesondere unter dem Aspekt einer Schädigung bei  Stripping – OP der Varizen.  Das vordere innere Lymphgefäßbündel verläuft parallel der Vena saphena magna und ist somit beim Stripping unmittelbar gefährdet. Über das Ausmaß einer möglichen intraoperativen Verletzung gab es nur spärliche Dokumentationen. Zu damaliger Zeit waren Lymphographien mit dem öligen Kontrastmittel Lipiodol noch erlaubt. Wir konnten deshalb bei ausgewählten Patienten postoperative Untersuchungen durchführen, deren überraschende Ergebnisse wir auch veröffentlichten.

Sie zeigten, wie verletzend  trotz aller Vorsicht das Strippingverfahren im Gewebe war. Dies stellt deshalb auch einen nicht zu unterschätzenden und für den Patienten sehr großen Vorteil der modernen endovenöser Methoden dar.

Lymphographie nach einer Stripping – Op der Vena saphena magna: Die Lymphbahnen sind gerissen, das Kontrastmittel tritt ungehindert in das Gewebe aus….

 

Auch auf die möglichen Nervenbahn – Schädigungen müssen wir hinweisen. Während eine Verletzung im Bereich des vorderen Saphenus – Nerven relativ häufig bei > 40 % aller operierten Patienten zu beobachten ist, ist diese Verletzung im Verlauf des am Unterschenkel hinten verlaufenden Suralis – Nerven nie zu vermeiden und für den Patienten langfristig ausgesprochen unangenehm. Eine wirklich sichere Datenlage zur Häufigkeit der Suralis Nerven – Verletzungen ist bis heute nicht bekannt.

 

 

Saphenion®: Das Schicksal der Vena saphena – Die Verödung

Trotz Optimerung der chirurgischen Therapie war der Einsatz sklerosierender Medikamente durch unsere dermatologischen Kollegen intensiv und entwickelte sich weiter. Mit Einführung der ultraschall – gestützten Verödungstherapie und der Verwendung des Mikroschaums ergaben sich neue Möglichkeiten, neben Seitenastvarizen auch eine insuffiziente Vena saphena in das Therapiekonzept einzubeziehen.

Im weiteren Verlauf entwickelten Chirurgen und Phlebologen zu Beginn der 90ger Jahre die verschiedenen endovenösen Katheter – Techniken. Sie folgten damit der Forderung eines Nestors der Phlebologie, Urs Brunner,  der bereits vor 35 Jahren den erstrebten Umgang mit der erkrankten Vena saphena wie folgt formulierte:

Das heutige Konzept ist konservierend, refluxbetont, ästhetisch“.

Paul Linser

 

 

Saphenion®: Das Schicksal der Vena saphena – Endovenös schonender…

Die Frage, was zur rasanten Entwicklung der endovenösen kathetergestützten Therapieformen führte, lässt sich unschwer beantworten:

  • sie vermeiden größere Wundflächen, Hämatome und Infektionen
  • es existiert generell ein Trend zur minimal – invasiven Chirurgie
  • die Patienten fordern eine schnelle Rehabilitation möglichst ohne Arbeitsunfähigkeit sowie bessere oder optimale kosmetische Ergebnisse.
  • auch ein möglichst radikales Vorgehen in der konventionellen Varizen – Chirurgie konnte das Rezidiv nicht verhindern, wobei die tatsächliche Rezidivquote nach operativer Stripping – OP der Stammvaricosis bis heute nicht eindeutig belegt ist.  Angaben dazu variieren zwischen  6 – 60 %.

Und so scheint durch einen dem Befund angepassten Einsatz der neuen endovenösen Verfahren auch der lange Leidensweg der Vena saphena am Ende zu sein, in dem sie zwar verschlossen wird, dies aber ohne Schaden der umliegenden Strukturen Lymphbahn, Nerv, und Gefäß geschieht. Und zum Vorteil ihrer Träger verbleibt die Vena saphena an ihrem angestammten Platz!

 

 

Photos / Video: Utzius

Literatur:

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