Saphenion®: Militarisierung der Medizin – das medizinische System fit machen für einen Krieg?
Saphenion®: Militarisierung der Medizin – der noch verantwortliche Minister Karl Lauterbach hat angekündigt, auch das deutsche Gesundheitssystem für den militärischen Bündnisfall der NATO in Europa fit machen zu wollen. Das braucht keine weitreichende Interpretation, es bedeutet schlicht, daß im Fall einen Krieges mit Russland die deutschen Krankenhäuser und Praxen unter enormer Belastung durch vermeintlich Kriegsverletzte, insbesondere aus den osteuropäischen Länder stehen werden.
Die Konturen des Gesetzes umschrieb Lauterbach so: „Im Krisenfall muss jeder Arzt, jedes Krankenhaus, jedes Gesundheitsamt wissen, was zu tun ist. Wir brauchen klare Zuständigkeiten – etwa für die Verteilung einer hohen Zahl an Verletzten auf die Kliniken in Deutschland.“ Man rechnet aktuell bereits mit 1000 Soldaten / Tag, die in Krankenhäusern unseres Landes vorrangig aufzunehmen sind
Dies ist natürlich nur ein Hundertstel der Wahrheit, denn im Bündnisfall wird Deutschland ein Hauptkriegsschauplatz werden und damit sind zunächst und in erster Linie die 84 Mio. Deutschen gefährdet. Allein schon der Gedanke, daß ein Bundesgesundheitsminister über den Kriegsfall nachdenkt, lässt erschrecken, Kopfschütteln reicht nicht mehr!
Aber nicht nur dieses Szenario ist aktuell bedeutend. Mit dem zukünftigen CDU-Kanzler Merz können wir uns sicher sein, dass das Thema Militarisierung weiter an Bedeutung gewinnen wird.«
Saphenion®: Militarisierung der Medizin – Bundesärtekammerpräsident fordert Vorbereitung auf einen Kriegsfall
Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, hat gefordert, das Gesundheitssystem auf einen möglichen Kriegsfall vorzubereiten:
„Das Gesundheitswesen in Deutschland braucht eine umfassende Resilienzstrategie, auch für den Bündnis- beziehungsweise Verteidigungsfall. Dieser wird unwahrscheinlicher, wenn potenzielle Angreifer wissen, dass wir auch in Hinblick auf die gesundheitliche Versorgung gut vorbereitet sind“, sagte Reinhardt der „Welt“.
Dazu müssten Lieferketten „abgesichert und diversifiziert“, die digitale Infrastruktur gestärkt und Fachkräfte „nachhaltig“ ausgebildet werden. „Wir müssen die Zusammenarbeit ziviler und militärischer Gesundheitseinrichtungen intensivieren, um im Verteidigungs- beziehungsweise Bündnisfall eingespielt agieren zu können“, fordert Reinhardt. „Und nicht zuletzt müssen Bund, Länder und Kommunen ihre Krisenmanagementpläne aktuell halten und Krankenhäuser dabei unterstützen, regelmäßig Notfallübungen zu organisieren.“
Saphenion®: Militarisierung der Medizin – die Verantwortung des zivilen Gesundheitssystems
Gerade auch als Beschäftigte im Gesundheitswesen müssen wir auf die grausamen Schrecken eines jeden Krieges aufmerksam machen und der Logik widersprechen, nach der die militärische Aufrüstung die einzige Option darstellt, um »Frieden zu wahren«. Durch das vorzeitige Ende der Ampelkoalition wird ein Gesundheitssicherstellungsgesetz erst von der nächsten Regierung in Angriff genommen werden. Mit einem zukünftigen, NATO-affinen CDU-Kanzler Merz können wir uns aber sicher sein, dass das Thema Militarisierung weiter an Bedeutung gewinnen wird.
Es ist also recht wahrscheinlich, dass wir auch im Gesundheitswesen eine fortschreitende Militarisierung als Kulisse erleben werden. Dabei können wir davon ausgehen, dass der Abbau von zivilen Strukturen und der Aufbau von Kapazitäten fürs Militär Hand in Hand gehen werden. Im Wahlkampf der Bundestagsparteien war es sehr still um das Thema Gesundheitsversorgung. Während der Bevölkerung das Thema Gesundheit und Pflege laut Ärzteblatt sehr wichtig sei, teilweise sogar wichtiger als innere Sicherheit und Wirtschaft, spielt es im Wahlkampf praktisch keine Rolle. Es ist also weiterhin Sache der im Gesundheitssystem Beschäftigten, in Bündnissen mit der Zivilgesellschaft, für ein gutes Gesundheitssystem, bessere Arbeitsbedingungen und gegen eine fortschreitende Einbindung in den Militärapparat zu streiten. Es wird regelmäßig von politischer Seite darauf hingewiesen, welch wichtiger Faktor das Gesundheitswesen für die Moral und Resilienz der Bevölkerung in Konfliktfällen darstelle. Stattdessen können auch wir eine wichtige Stimme des Widerstands und des Einsatzes für den Frieden sein.“

Saphenion®: Militarisierung der Medizin – die militärmedizinische Doktrin
Seit Jahrzehnten wird die Militärmedizin formell als strategisches Instrument eingesetzt
und dabei manchmal auch als „nichttödliche Waffe“ bezeichnet, die auf die „hearts and minds“ – die„Herzen und Köpfe“ der Bevölkerung – abzielt. Diese Einsätze erfolgen häufig im Kontext größerer Programme, die unter dem Schlagwort humanitäre Hilfe oder Engagement für die Zivilgesellschaft laufen. Mittlerweile stellen medizinisch ausgerichtete humanitäre Hilfsmissionen eine wichtige Komponente bei den aktuellen Einsätzen der Streitkräfte rund um den Erdball dar. Im Gegensatz zu ihren zivilen Gegenstücken (wie z.B. Ärzte ohne Grenzen, das Internationale Rote Kreuz und der Rote Halbmond) sind Sinn und Zweck dieser Militärprogramme nicht in erster Linie medizinischer Natur.
Vielmehr ist bei humanitären Hilfseinsätzen der Streitkräfte die medizinische Versorgung ganz klar an bestimmte strategische Ziele geknüpft. Solche Einsätze werden innerhalb des US – amerikanischen Verteidigungsministeriums zunehmend befürwortet und allmählich auch von den Streitkräften anderer Staaten angewandt. Diese Praxis wird bisher kaum hinterfragt, diskutiert oder kritisch beleuchtet – ganz zu Schweigen von einem kritischen Nachdenken in der öffentlichen Gesellschaft!
Saphenion®: Militarisierung der Medizin – „Triage der Militär – und „Katastrophenmedizin“
Seit vier Jahren – die Bundesärztekammer gab selbst den Startschuß – wird eine engagierte Diskussion um die „Katastrophenmedizin“ geführt. Hauptsächlich geht es dabei um ihr Kernstück, die „Triage“ (auch non ethisch als „Sichtung“ oder „sorting“ genannt). Bei einem „Massenanfall“ von Verletzten, der die Einrichtungen des Gesundheitswesens überfordern würde, sollen die Verletzten zunächst nach Prognose und Dringlichkeit der Behandlung kategorisiert ( im Normalfall in vier Gruppen) und erst dann behandelt werden. Die Gruppe der Schwerstverletzten (auch Gruppe der „Hoffnungslosen“, der „abwartenden Behandlung“ oder kurz „T4“ genannt) wird jedoch ohne medizinische Versorgung bleiben – bis auf Absonderung und Gabe von sedierenden und schmerzlindernden Medikamenten.
Darum dreht sich hauptsächlich die Diskussion. Kann und muß man schwerverletzte Patienten, für deren Versorgung im medizinischen System keine Kapazitäten frei sind, zurückstellen?
Triage in Militär – und Katastrophenmedizin
Im Alltag wird für diese Schwerstverletzten die ganze Hochleistungsmedizin aufgeboten, im „Katastrophenfall“ werden diese Patienten „unversorgt“ sterben gelassen? Ärztekammern – und mit Ihnen die Institutionen des Zivilschutzes und die Bundeswehr – bejahen diese Frage und fordern, daß die gesamte Ärzteschaft die entsprechende Selektionstechnik einübt. Und um welche „Katastrophen“ handelt es sich dabei? Und wieviel Ethik bleibt dann der Medizin noch?
Saphenion®: Militarisierung der Medizin – Anwendung in der Bundeswehr?
Die „Triage“ ist eine Entwicklung der Militärmedizin – eine Technik, die schon in den letzten beiden brutalen Weltkriegen angewandt wurde. Welche Funktion die Triage in den deutschen Armeen und heute in der Bundeswehr hatte und hat, soll im folgenden untersucht werden. Eine solche Sichtweise wird auch die „katastrophenmedizinischen“ Fragestellungen besser einordnen helfen. Denn es geht ja nicht um eine Kritik der „Katastrophenmedizin“ oder der Triage „an sich“, sondern um die Kritik ihrer spezifisch bundesrepublikanischen Ausprägung.
Die Entwicklung der Triage bis 1945
Medizinische Versorgung auf dem Schlachtfeld hat es schon im Altertum gegeben. Die heute aktuelle planmäßige Einstufung der Verletzten nach ihrer Prognose und die daraus resultierenden Transport – und Behandlungsprioritäten entwickelten sich dagegen erst im 19. Jahrhundert. Der russische Chirurg Pirogoff berichtet als einer der Ersten über diese Einstufung. Um die Gefahr der Hospitalinfektion zu mildern, der viele der eingelieferten Verletzte erlagen, vertrat Pirogoff eine Art „Verteilungsstrategie“. Die Soldaten bekamen auf dem Schlachtfeld eine erste Hilfe, wurden dann nach ihrer Transportfähigkeit kategorisiert – wobei die Gruppe der Hoffnungslosen vom Transport ausgeschlossen wurde – und mit Hilfe der Eisenbahn über die Lazarette des Landes verstreut.
Das Verfahren gelangte im Krimkrieg (1853 – 56) zum ersten Mal in großem Maßstab zum Einsatz. Seine Voraussetzung war das neue Verkehrsmittel Eisenbahn, das einen schonenderen Transport als Ochsen- oder Eselskarren erlaubte.
In 1864 legte Pirogoff in seinem Buch „Grundzüge der allgemeinen Kriegschirurgie“ folgende Verwundetenkategorien fest:
1) Hoffnungslose Fälle
2) lebensgefährlich Verletzte, die sofort behandelt werden müssen
3) Verletzte, die auch eine unaufschiebbare, aber präservative Hilfe verlangen
4) Verwundete, bei denen die unmittelbar chirurgische Hilfe nur wegen eines schadlosen und bequemen Transportes notwendig ist.
5) Verwundete, bei denen ein einfacher Deckverband oder eine Extraktion der oberflächlich liegenden Geschoßkugeln oder – splitter erfolgen konnte.
Schon 1866 in der Schlacht von Königsgrätz und 1870/71 im Krieg gegen Frankreich setzte die preußische Armee ein ähnliches Triage- und Abtransportschema ein.
Die hinter der Front gelegenen Hauptverbandsplätze leisteten erste Hilfe, stuften die Verwundeten ein und stellten – soweit es ging – Transportfähigkeit her. Die fachärztliche, chirurgische Versorgung fand dann erst sehr viel später statt. Es ist klar, daß dieses Verfahren die Chancen der Schwerverwundeten minderte.
In 1914 entfesselte das mit Österrreich / Ungarn verbündete Deutsche Reich den I. Weltkrieg. Es ging um die Vorherrschaft in Europa und die Neuaufteilung der Welt. Militärstrategisch sollten in einem Blitzkrieg die Gegner niedergeworfen werden. In einem solchen Konzept war kein Platz für eine frontnahe, qualifizierte, fachchirurgische Behandlung der Verwundeten. Die Hauptverbandsplätze hinter der Front fungierten als eine Art Rangierbahnhöfe: erste Hilfe, Festlegung von Transportkapazitäten, Aussortierung der Schwerverletzten zum Sterben und der Leichtverletzten zwecks baldiger Rückführung zur Truppe.
Als der Stellungskrieg mit seinen furchtbaren Materialschlachten begann, entstanden zahlreiche frontnahe Lazarette, in denen leicht Verwundete behandelt wurden: nach ihrer Auskurierung konnten sie so schneller wieder der Truppe zugeführt werden. Das System der Sortierung wurde perfektioniert: der Verwundete durchlief von der Front bis zur deutschen Grenze zahlreiche Triage – Stationen, die Leichtverwundete aufhielten und zurückschickten. Die frontnahe Versorgung der Schwerverwundeten wurde dagegen nicht verbessert.
Als die deutschen Armeen zum zweiten Mal im gleichen Jahrhundert ihre Nachbarn überfielen, waren die Sanitätstruppen der Hitler – Wehrmacht in die Militärstrategie eingebunden. In Ziffer 2 der Heeressanitätsvorschrift von 1938 heißt es:
„Die Gewißheit, im Falle einer Verwundung oder Erkrankung ärztlich gut versorgt zu werden, stärkt den Kampfgeist der Soldaten. Die Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten sollen Kampfkraft und Leistungsfähigkeit der Truppe erhalten und größere Ausfälle durch Seuchen verhindern. Durch schnelle Wiederherste\lung der Verwundeten und Kranken wird dem Heere waffengeübter Ersatz zurückgegeben. „
Aufgabe der Ärzte und Sanitäter war es demnach, die Kampfkraft der Truppe zu bewahren bzw. wiederherzustellen. Nur die Kampfkraft des Soldaten – vorhanden oder zumindest wiederhersteIlbar – zählte! Als Krüppel oder Langzeitpatient ohne Chance, wieder in die kämpfende Armee eingereiht zu werden, war der Soldat von minderem militärmedizinischen Interesse.
„Die Gewißheit, im Falle einer Verwundung oder Erkrankung gut versorgt zu werden … „, entpuppt sich als glatte Propagandalüge. Gut versorgt wurden lediglich leicht Verwundete und Kranke mit guter Prognose, für die Schwerverwundeten wurde – wie im I. Weltkrieg – wenig bis gar keine Hilfe organisiert
Frontnah rangierte die Herstellung der Transportfähigkeit und das Herausfiltern der Leichtverwundeten in jedem Fall vor einer qualifizierten chirurgischen Versorgung der Schwerverletzten. Das Schema eines Hauptverbandsplatzes nach der Heeressanitätsvorschrift von 1938 beweist die Dominanz der Selektion gegenüber der Behandlung.
Wie die Prioritäten bei der Sichtung zu setzen sind, stellte 1939 noch einmal Prof. Wachsmuth, beratender Chirurg beim Heeressanitätsinspekteur , in einem Grundsatzartikel klar:
„Der schnellen Entlastung dient die Sichtung und Verteilung der Verwundeten auf dem Truppen – und Hauptverbandsplatz … Sichtung und Verteilung der Verwundeten können nicht nur nach rein ärztlichen Gesichtspunkten erfolgen, weil sie sich der Lage und den Transportverhältnissen anpassen müssen … Grundsätzlich ist der Verwundete mit besseren Aussichten schneller abzutransportieren als der mit schlechteren. Sterbende bleiben im allgemeinen im Hauptverbandsplatz. „
Deutlicher kann man es nicht sagen: Für den Verwundeten, dessen Wiederverwendungsfähigkeit zweifelhaft ist, lohnt eine aufwendige Versorgung nicht! Welch ethische Absurdität, welch ein Inhumanismus!

Saphenion®: Militarisierung der Medizin – Die Triage in der Bundeswehr – Medizin
Die nationalsozialistische Militärmedizin (und ihre Vorgänger) entschieden die Frage ,behandeln oder nicht mehr behandeln‘ nach der Wiederverwendungsfähigkeit des Verletzten oder – anders ausgedrückt – nach dem potentiellen Gebrauchswert des Soldaten für die Kriegsführung. Wie sieht das heute in der Militärmedizin der Bundesrepublik aus?
Wichtigste Quelle hierfür ist das NATO – Handbuch „Emergency War Surgery“ von 1958. Ausgearbeitet von einer Kommission amerikanischer, britischer und französischer Sanitätsoffiziere berücksichtigt das Handbuch die Erfahrungen der Weltkriege und des Korea – Krieges. In 1961 wurde das übersetzte Handbuch als Zentrale Dienstvorschrift (ZDv 49/50) „die dringliche Kriegschirurgie“ für den Bundeswehrsanitätsdienst erlassen.
Von vornherein wird klargestellt, daß sich die Militärmedizin in die Kriegsführung einzupassen hat. Die „Besonderheit“ der Kriegschirurgie „liegt darin, daß sich im Gegensatz zur üblichen ärztlichen Handlungsweise die Sorge für den einzelnen den militärischen Erfordernissen unterordnen muß, wenn die taktische Lage dies verlangt“. Die Besonderheit der militärischen gegenüber der zivilen Medizin ist also ihre Unterordnung! Bestimmend sind die militärischen Ziele, nicht das Leben der Menschen!
Eine „Weiterentwicklung“ gegenüber der früheren Militärmedizin springt sofort ins Auge: es wird streng zwischen zwei Formen der Triage unterschieden, nämlich der Sichtung im konventionellen Krieg und der Sichtung im ABC – Krieg (Sichtung bei Einsatz von Massen- vernichtungswaffen / Atomwaffen).
Kap. 13 beschäftigt sich zunächst mit der „konventionellen“ Sichtung. Sie umfaßt „die Beurteilung und Einteilung der Verwundeten für Behandlung und Abtransport?“ und ist ein permanenter Vorgang, wie folgende Passage belegt:
Die erste vorläufige Sichtung der Verwundeten findet auf dem Truppenverbandsplatz statt. Eine gründlichere Sichtung folgt bei den Brigade – und Divisionshauptverbandsplätzen und eine weitere Sichtung muß im chirurgischen Lazarett bzw. FeIdlazarett vorgenommen werden. Natürlich ist die Sichtung nach der ersten chirurgischen Wundversorgung in den oben erwähnten Lazaretten noch nicht beendet. Unter den Begriff Sichtung fällt auch die Entscheidung, den direkten Abtransport zu einem der SpeziaIlazarette zu veranlassen; weiterhin erfolgt eine ununterbrochene Sichtung während der ganzen Behandlungszeit, bis der Verwundete entweder dienstfähig geworden ist oder aus den Streitkräften ausscheidet – oder exakter gesagt – stirbt.
Auf dem Truppenverbandsplatz, der ersten Triagestation, werden folgende vier Verwundeten – Gruppen unterschieden:
I) Verwundete mit geringfügigen Verletzungen – Diese Verwundeten können sofort voll – dienstfähig zu ihren Einheiten zurückgeschickt werden“.
2) Verwundete mit Verletzungen, die zwar versorgt werden müssen, die jedoch so leicht sind, daß sie auf dem Truppenverbandsplatz oder im Brigadebereich endgültig behandelt werden können. Diese Verwundeten können schon nach kurzer Zeit wieder dienstfähig zur Truppe entlassen werden“. 3) Verwundete, deren Verletzungen erstens sofort, zweitens nach durchgeführter Schockbekämpfung oder drittens, zu einem späteren Zeitpunkt chirurgisch behandelt werden müssen“, 4) Verwundete, die in hoffnungslosem Zustand eingeliefert werden“.
Den leicht Verletzten (Gruppe 1+2) wird in diesem Schema eine große Bedeutung zugemessen – offenbar, weil sie am schnellsten wieder der Truppe zugeführt werden können. Die Gruppe 3 wird für die chirurgische Versorgung und den Abtransport weiter in drei „Dringlichkeitsstufen“ differenziert:
Erste Dringlichkeitsstufe: z.B. Schock, Asphyxie, Spannungspneumothorax.
Zweite Dringlichkeitsstufe : z.B. Bauchverletzungen, Thoraxverletzungen, Gefäßverletzungen, Hirnverletzungen.
Dritte Dringlichkeitsstufe: Rückenmarksverletzungen, Augenverletzungen etc..
Vierte Dringlichkeitsstufe: „Selbstverständlich ist es nutzlos, auf die hoffnungsvoll Verwundeten der Gruppe 4 zu viel Zeit zu verwenden, Denn wenn sicher der Sanitätsoffizier zu lange mit den Verwundeten dieser Gruppe und der Gruppe 2 aufhält, kann dies dazu führen, daß der Zustand der Verwundeten in der Gruppe 3, bei der die größten Chancen für eine Rettung bestehen, sich verschlimmert und vermeidbare Todesfälle eintreten“ .
Die „Hoffnungslosen“ erhalten keine Hilfe, jedenfalls keine Wirksame. Die Begründung hört sich geradezu human an: sonst gäbe es unter den Verletzten mit Prognose vermeidbare Todesfälle … Doch diese Humanität paßt in’s Konzept einer Medizin, die sich den „mili- tärischen Erfordernissen“ unterordnet. Denn die Verletzten mit günstigerer Prognose lassen sich wahrscheinlich wieder zu brauchbaren Soldaten hochpäppeln, die angeblich „Hoffnungslosen“ sicher nicht mehr.

Saphenion®: Militarisierung der Medizin – Atomwaften und Strategieentwicklung in der NATO
In 1958, als das NATO-Handbuch erschien, war das Atomwaffenmonopol der USA längst gebrochen. Seit 1950 verfügte die UDSSR ebenfalls über Atombomben, ein paar Jahre später über Langstreckenbomber und Raketen mit Mehrfachsprengköpfen.
Pläne für atomare Angriffskriege gegen die UDSSR bestanden schon in den vierziger Jahren, wie dokumentarisch belegt ist. Der von den Vereinigten Stabschefs der USA entworfene Plan „Drop – shot“ vom 19.12.1949 – er sollte 1957 zur Anwendung kommen – sah den Abwurf von mindestens 180 Atombomben binnen 30 Tagen auf die UDSSR vor, anschließend sollte das Land besetzt werden.
Vor 1957 erhoffte sich das Pentagon eine ausreichende militärische Überlegenheit. Daraus wurde nichts, der atomare Angriff fand nicht statt, weil auf Grund des raschen atomaren Nachrüstens der UDSSR ein Sieg im Atomkrieg undenkbar wurde!
In den 60er Jahren änderte die NATO darum ihre offizielle Doktrin: an die Stelle der „massiven Vergeltung“ trat die Strategie der „flexible response“ – wobei die Worte „Vergeltung“ und „response“ in makabrem Widerspruch zu den bekannten Erstschlagsplänen stehen. Kerngedanke der „flexible response“ war und ist es, unterhalb der Schwelle eines „großen“ Atomkrieges mit sog. „taktischen Nuklearwaffen“ Krieg zu führen, z.B. in Europa!!!!
Zug um Zug wurden in der Bundesrepublik taktische Atomwaffen gelagert, heute ca. 6000 an der Zahl. Ihre Detonationsstärken reichten bis zum Zehnfachen der Hiroshima – Bombe. Die Reichweiten ihrer Träger sind so ausgelegt, daß diese „taktischen Waffen“ überwiegend auf dem Territorium der Bundesrepublik, der ehemaligen DDR, in Polen und der Tschechei oder Slowakei detonieren müßten.
Bereits ein Zehntel bis ein Fünfzigstel dieser Waffen, kämen sie zur Anwendung, würden die Bundesrepublik als lebensfähige Industriegesellschaft auslöschen. Zu diesem Ergebnis kam 1971 eine Forschungsgruppe um Friedrich von Weizsäcker!

Saphenion®: Militarisierung der Medizin – die Militärmedizin hat sich auf einen Atomkrieg vorzubereiten!
Entsprechend der herrschenden Strategie hatte sich die Militärmedizin heute in jedem Fall auf eine thermo – nukleare Kriegsführung vorzubereiten. Das stellte sie vor unlösbare Probleme. Man intensivierte die Forschung, um Medikamente gegen die Wirkung ionisierender Strahlung zu entwickeln – die Strahlenkrankheit ist aber nach wie vor (mit Ausnahme der unter Kriegsbedingungen nicht einsetzbaren Knochenmarktransplantation) causal nicht therapierbar. Dazu käme der Massenanfall von Verbrennungs – und polytraumatisierten Patienten, dieser würde jedes Gesundheitswesen überfordern!
Was also tun? Da die Atomkriegsfolgen medizinisch nicht beherrschbar sind, und ein Sieg in einem solchen Krieg nicht mehr möglich ist – andererseits die NATO – Doktrin die Anwendung von Nuklearwaffen vorsieht – verlegte sich die Militärmedizin auf eine „Weiterentwicklung“ der Triage.
Im NATO-Handbuch heißt es: „Das Hauptproblem der thermonuklearen Kriegsführung liegt darin, daß plötzlich eine enorme Zahl von Verwundeten auf die noch übrig gebliebenen Sanitätseinrichtungen einstürzt. Neuerdings wird der Ausdruck „Massenanfälle“ benutzt, um damit das plötzliche Auftreten einer überwältigenden Zahl von verwundeten Soldaten und Zivilisten zu bezeichnen, die in einem oder mehreren begrenzten Gebieten innerhalb kürzester Zeit die örtlich verfügbaren Sanitätseinrichtungen einfach überfluten, wobei diese gar nicht mehr in der Lage sind, ärztliche oder auch pflegerische Versorgung zu gewährleisten. Aber auch im thermo – nuklearen Zeitalter bleibt das grundlegende Prinzip der Wehrmedizin weiterhin unverändert, nämlich soviel Soldaten wie möglich zur Durchführung der militärischen Aufgaben einsatzbereit zu erhalten – die Triage der Verletzungen.
Im Unterpunkt „Massenanfälle“ des Triagekapitels wird es noch deutlicher: „Die Sichtung ist – … die Grundlage der ärztlichen Behandlung! Wer weiter eingesetzt werden kann, wird sofort versorgt, wer schwer verletzt ist, muss warten! Stellt sich die Frage, worauf er warten muß – auf den rettenden Schuß?

Saphenion®: Militarisierung der Medizin – unsere persönliche Erfahrung mit der Militärmedizin
Ab 1979, nach Ablegung des Abiturs wurde ich zu einem dreijährigen Wehrdienst eingezogen. Dem zuständigem Wehrkreiskommando in Berlin – Mitte war mein Wunsch und meine Zulassung zum Studium der Humanmedizin an der Charitè / Humboldt – Universität bekannt. So wurde ich nach der Grundausbildung zur weiteren Ausbildung an eine Sanitäts – Unteroffiziers – Schule versetzt. Nach 3 Monaten Ausbildung und weiteren 3 Monaten als Ausbilder der nachkommenden Sanitäter wurde ich dann an einen Sanitäts – Stützpunkt im Norden von Brandenburg versetzt.
Während unserer Ausbildung zu Sanitätern wurden wir selbstverständlich ebenso mit der Selektion von Verletzten im Sinne der „Triage“ konfrontiert. Unsere Ausbildungsoffiziere teilten uns die Schritte der Triage ebenso mit, wie oben bereits beschrieben. Es mag vielleicht überraschen, aber bereits in 1980 regte sich in uns und in mir bei der Ausbildung ein massiver Widerstand im Sinne eines Gefühls von Inhumanität, der so gar nicht in das Berufsbild des Wunschberufes Arzt passte. Dieser innere Widerstand baute sich dann zu einer auch nach aussen getragenen Kritik an dieser Art medizinischen Denkens auf:
In einem Feldlager mit aufgebautem Sanitätsstützpunkt übten wir in der Praxis das Gelernte und vorgegebene Prinzip der Patientensichtung. Es lagen viele Soldaten auf dem Boden mit Schildern um den Hals, die die Art der Verletzung definierten. Wir begannen zunächst mit der „Sichtung“ der „Verletzten“. Dann plötzlich riefen unsere Offiziere: “ Atombombenabwurf in 5 km Entfernung“. Nach einer Sekunde des Schreckens erhoben sich alle Unteroffiziersschüler kopfschüttelnd und es begann eine heftige Diskussion mit den Offizieren.
Wir lehnten schlichtweg das weitere Training ab – es war uns klar, daß ein Atombomben – Abwurf in 5 km Entfernung uns alle mit erwischt hätte. Das Feldlager wurde abgebrochen, in der Kaserne fand eine intensive Auswertung des Geschehenden statt. Im Ergebnis dessen wurde uns zugestanden, daß ein Atomangriff auf das Feldlager auf jeden Fall jede weitere Tätigkeit unterbunden hätte und wir ebenso auch tödlich verletzt worden wären. Disziplinarische Maßnahmen wurden nicht eingeleitet!
Heute, 46 Jahre später, sehen wir wieder die Überlegungen, die Medizin zu militarisieren, nunmehr aber das gesamte System. Abgesehen von der ethischen Verdrehung medizinischer Grundsätze dürfte klar sein, daß eine Umstellung des Gesundheitssystems hin zur Sichtung und Triage im Wesentlichen den zivilen Patienten, egal ob Kind oder Rentner, schaden würde,
Es muss aber auch gesagt werden, daß ein Krieg mit Atom – und Massenvernichtungswaffen in Europa keinen Sieger mehr haben wird!
Saphenion®: Militarisierung der Medizin – Antrag auf dem 128. Deutschen Ärztetag 2024
DER DEUTSCHE ÄRZTETAG MÖGE BESCHLIESSEN:
Vor dem Hintergrund zunehmender kriegerischer Auseinandersetzungen in Europa und der Welt erklärt der 128. Deutsche Ärztetag 2024, dass in Übereinstimmung mit dem Genfer Gelöbnis die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit von Patientinnen und Patienten das oberste Gebot ärztlichen Handelns ist und bleiben muss. Die Krisenfestigkeit und Resilienz des Gesundheitswesens ist unabdingbar, unterscheidet sich aber grundlegend von Bestrebungen, das Gesundheitswesen „kriegstauglich“ zu machen und militärischen Aufgaben unterzuordnen.
Begründung:
Die Grundsätze der ärztlichen Tätigkeit werden im Genfer Gelöbnis feierlich benannt und finden Niederschlag in den Berufsordnungen für Ärztinnen und Ärzte. Diese haben Bestand auch in einer zunehmend unsichereren Welt, in der nicht nur eine Vielzahl von Kriegen und militärischen Auseinandersetzungen mit vielen Toten, Verletzten, endlosem Leid und Zerstörung zu beklagen sind. Heute ist das Risiko eines Atomkrieges so hoch wie selbst in den Zeiten des Kalten Krieges nicht. Dazu tragen die Aufkündigung der nuklearen Abrüstungsverträge, die Klimakrise, Cyberkriegstechnologien und die zunehmenden Spannungen insbesondere durch die eskalierenden Kriege in der Ukraine und Nahost bei. Dennoch gilt die nukleare Abschreckung und die atomare Aufrüstung für viele wieder als friedenssichernde Option. Begleitend findet nicht nur im sprachlichen Duktus eine beispiellose Militarisierung aller gesellschaftlichen Bereiche und auch des Gesundheitswesens statt. Politiker erläutern nationale Sicherheitsstrategien, die Wehrhaftigkeit und die Kriegstüchtigkeit für weite gesellschaftliche Bereiche. Das Gesundheitswesen soll nach dem Willen des Verteidigungsministers Boris Pistorius durch ein künftiges „Gesundheitssicherstellungsgesetz (G-SIG)“ für den Kriegsfall ertüchtigtwerden, auch der Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach will das Gesundheitswesen auf „mögliche militärische Konflikte vorbereiten“. Der eigenständige Sanitätsdienst der Bundeswehr soll militärischen Strukturen untergeordnet werden, zivile medizinische Strukturen sollen im Bedarfsfall militärischen Erfordernissen untergeordnet werden. Angesichts der globalen Herausforderungen ist die Krisenfestigkeit und Resilienz des Gesundheitswesens dringend erforderlich. Es spricht nichts dagegen, auf die Erfordernisse von Krisen wie beim plötzlichen Anfall vieler Verletzter oder Kranker bei einer Epidemie oder Unfällen vorbereitet zu sein. „Kriegstüchtigkeit“ bedeutet aber etwas ganz anderes und ebnet im Bewusstsein den Boden für die falsche Überzeugung einer Gewinnbarkeit militärischer Konflikte. Als Ärztinnen und Ärzte wissen wir, dass wir bei der Gefahr heutiger kriegerischer und insbesondere atomarer Auseinandersetzungen keine sinnvolle Hilfe leisten können. Die deutsche Ärzteschaft sollte sich nicht an der fatalen Illusion beteiligen, die Auswirkungen von Kriegen und erst recht von Atomkriegen wäre mit medizinischer Unterstützung beherrschbar. Beschränken wir uns entsprechend unserem Berufsethos darauf, unsere Tätigkeit in den Dienst der Menschlichkeit und für die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit unserer Patientinnen und Patienten zu stellen!
Quelle:
https://128daet.baek.de/data/media/BIc73.pdf
Photos: Utzius
Video: Reinhard Mey und Freunde
Paper / Links:
https://128daet.baek.de/data/media/BIc73.pdf
https://regionalheute.de/bundesaerztekammer-fordert-umfassende-resilienzstrategie-1742841603
http://www.med.uni-magdeburg.de/jkmg/wp-content/uploads/2013/03/JKM_Band9_Kapitel10_Pfeiffer.pdf
https://www.zefq-journal.com/article/S1865-9217(10)00154-6/abstract
https://www.wsws.org/de/articles/2024/03/11/gesu-m11.html